Marmor hinter dem Yachthafen
Text von Peter Natter, Lektor, Philosoph, Autor
Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt, so lautet Thomas Bernhards unsterbliches Diktum. Ja, aber wenn man nicht an den Tod denkt, was ja auch vorkommen soll bzw. kann: Was dann? Dann wird es ernst. Dann stellt sich ernstlich die Frage, was und wie ernst zu nehmen ist. Verbrannter Schnee gibt keine Asche, kann es in einem solchen Fall heißen, und das auf dem Umschlag einer sehr schönen, großformatigen, spannenden Publikation. Eine solche liegt vor mir. Liegt ist jedoch kein gutes Wort für den Charakter ihrer Vorhandenheit. Das Buch tut viel mehr, als nur hier zu liegen, und es ist mehr als ein Buch. Es erhebt Ansprüche, nicht zuletzt mittels großspuriger Aussprüche: „Ich bin kein Politiker. Ich brauche keine Mehrheiten.“ (S. 287). Dass, wer kein Politiker ist, noch mehr nicht braucht, dafür aber zustande bringt, wovon einer als Politiker nicht einmal träumen kann, auch davon erzählt dieses Buch.
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Vieles in Einem
Die Publikation ist eine von seiner Tochter Gabriela Lamprecht herausgegebene Künstlermonografie zu Wilfried Wif Kofler (1949–2017), ein Bregenzer Original und Originalbregenzer, Schlosser und Künstler in vielen verschiedenen Variationen und Gleichungen: Künstlerschlosser, Schlosserkünstler, bis hin zum Faschingsprinz und zum nackten Altprinzen (s. S. 280). Als Handwerker ein Vollprofi, als Künstler ein Dilettant, ein Autodidakt im allerbesten Sinn, dessen Werk Wucht und Eleganz vereint. Einer, der seinen Lebensraum, vorab die Stadt Bregenz, als Spielraum verstanden und damit viel zu dessen Lebenstauglichkeit wie auch Lebenswürdigkeit, mehr noch: Liebenswürdigkeit beigetragen hat. Ein Schelm, ein Philosoph, ein Widerständler, ein Moralist, ein Könner, ein Humorist, ein Schalk, ein Kraftmensch (Schlosser!), ein Eisenbieger, ein Meister, eine Samtpfote, einer, dem es ernst ist (kein Finsterling): Und nicht etwa von allem ein bisschen, sondern alles in einem letztlich ganz großen Ganzen. Eine Kurzbiografie gibt es auch (S. 172). Sie beginnt so: „Michelangelo der Wixer … mit einer schier gnadenlosen Inbrunst und Verbissenheit“. Berührungsängste dürfte er kaum gehabt haben, der Wilfried Kofler, dafür immer schon „alle Zeit der Welt. Wahrscheinlich angeboren oder Erziehungsbedingt, egal wie auch immer“ (ebd.). Nicht nur geschrieben hat er nach seinem eigenen Gusto!
In Pandemiezeiten, in denen auch das Künstlertum leidet, ohne wirklich Leidensfähigkeit zu entwickeln, dafür deutlich dazu neigt, sich beleidigt zu geben, benachteiligt zu fühlen (von wem eigentlich? Wer kann einen wahren Künstler beleidigen, benachteiligen? Ein Staatsekretär vielleicht, ein Ministerle, ein Biederling von Landeshauptmann, ein Widerling von Kanzler?), will es gesagt sein: Da wird uns ein Mensch präsentiert, dem offenbar alle Wehleidigkeit abgeht (nicht aber die Gründe dafür!), wie auch alle Eitelkeit und Larmoyanz. Einer, der noch die letzten Kräfte, die ihm die Krankheit gelassen hatte, fürs frühmorgendliche Fischen am Bodensee nutzte. Nichts Aufgesetztes, nichts um einer billigen Wirkung willen Fabriziertes, kein Glump und auch kein bloßer Blödsinn, höchstens ein verkleideter, wie es sich gehört für einen Faschingsprinzen Ore XXX von 1985): „Es mußte ganz einfach so kommen.“ (S. 175)
Mehr und weniger
Ein Beispiel aus dem Buch (S. 149ff): eine Einkaufstasche wie sie jeder in der papierenen Ausführung kennt, hier in der perfekt gearbeiteten Version aus Blech. Das ist schlicht genial: in seiner Machart, Ausstrahlung, Botschaft. Die lautet: Es geht auch anders. Als ob das nichts wäre, setzt Wif Kofler das Zeichen. Noch ein Exempel (S. 157): von einem Sardinenbüchsenöffner altmodischen Stils inspirierte Garderobe. Grandioser kann man nicht demonstrieren, dass alles zugleich mehr und simpler ist, als es scheint, vor allem als es den Verzagten, Kleingeistigen, Gulaschbrückenabreißern scheint. Zu ihnen gehörte Wif Kofler nicht. Schließlich „Die Würgschaft“ (S. 175): Da lässt der Günter Grass der Blechtrommel ebenso grüßen wie der des Butts und auch der Zeichner Grass weist sich als Kollege Koflers aus. Und „Mari for ham a Wetter kimmt“ (S. 203), muss man gelesen haben, dann ist all das Bestsellerlistengeschmonze um Welten besser zu ertragen bzw. zu taxieren.
Da ist etwa die Rede (in der Einleitung von Albert Allgaier: Vorklöstner Fluxus, S. 11) von Werken und Arbeiten, die sich als Erzählungen erhalten haben. Ist aber nicht die Erzählung die höchste, märchen- und sagenhafte Form, in der etwas Bestand haben kann? Nonverbaler Humor wird ebenso beschworen: Kann es eine elegantere und welthaltigere Form der Heiterkeit, allem wortreichen Palaver, schlauen Analysen oder listigen Formeln, aller medialen Geschwätzigkeit weit überlegen, geben? Ausdruck eines Humors übrigens, der sich am allerbesten vielleicht und nur für eine oberflächliche Betrachtung überraschend mit der Melancholie verträgt: Weil die Melancholie die große Schwester der Leidenschaft ist.
Der bislang stärkste Impuls des Jahres 2022 war für mich die Begegnung mit Wilfried Kofler. Obwohl sie nur in Papierform möglich war, wirkt sie gewichtig wie Mühlsteine (S. 15 – 49: obertolle Fotoserie!), komplex wie ein Knoten im Metallgeländer (S. 77 – 111: come and see!), unakademisch wie ein Wasserhahn am Lichtmast (S. 51 – 77: unvergessen!) und luftig wie ein geschmiedetes Mobile im Garten (S. 12). So kann das Jahr gerne weitergehen. Dass es schließlich nicht darauf ankommt, richtig zu schreiben, sondern das Richtige, ist die finale Lehre, die Moral geradezu des schönen Buches: „Die ware Wolllust ist nicht Socken stricken sondern das wollen wollen das man eigentlich immer schon konnte aber fälschlicherweise oft glaubte es verlernt zu haben.“ (S. 265) Auch wenn man langsam versucht ist, vor lauter Virenzauber auf die Welt zu pfeifen: Wilfried Koflers Weltkarte (S. 299), inspiriert unter anderem von einer am Bregenzer Bilgeribächle geretteten, verbeulten, „vermutlich vor vielen Jahren im Gebirge verloren gegangenen“ (S. 175) Aluminiumfeldflasche, möchte man haben, sie soll bleiben! Ja um ihrer willen soll die Welt bleiben! Da hat uns einer gezeigt, worauf es ankommt, dass Werte nichts sind für Sonntagsreden und Werke nichts für Museumsdepots oder den Kunstmarkt.